Das Rentnern

Nun bin ich schon eine ganze Weile Rentner, aber habe mich erst jetzt so richtig damit identifiziert. Bis dato hatte ich immer das Gefühl: Ich steige bald wieder ins Taxi, deshalb mache ich schnell noch dies und das, damit ich dann nicht in Schwulitäten komme. Das Dumme ist nun: Ich steige nicht mehr ins Taxi und muß mich deshalb auch mit dem, was ich sonst noch mache, nicht mehr beeilen. Jetzt kommt das nächste Problem: Wenn man viel Zeit hat, sind ja bald alle Nebenaktivitäten erledigt und es gibt nichts mehr zu tun. Theoretisch ist das der Idealzustand, aber praktisch dreht man ohne Beschäftigung schnell am Rad. Das Gebot der Stunde lautet also: „Such dir eine sinnvolle, schöne, zeitvertreibende Tätigkeit!“. Aber welche nur? Da kann man nur logisch rangehen. Also ein Dreher dreht, deshalb heißt er so. Genauso ist das beim Fräser, der fräst, beim Fahrer, der fährt, beim Friseur, der frisiert usw., usw., usw., …
In Fortführung dieser Logik heißt das für mich: Der Rentner rentnert! Was er da speziell macht, muß erst einmal außen vor bleiben, weil das jeder individuell entscheidet, aber die Grundtätigkeit haben wir schon mal definiert und die Erfindung dieses Wortes kann mir jetzt auch keiner mehr nehmen.

In dieser Woche nun habe ich beschlossen, daß „rentnern“ heißt, endlich einmal die Natur in vollen Zügen zu genießen, anstatt in solchen zu sitzen. Besonders hilfreich dafür war die Tatsache, daß just am Sonnabend mein langersehntes Paket mit dem neuen Batteriesatz für den Elektroroller eintraf. Der alte war nach dreieinhalb Jahren so richtig im Arsch. Weh getan hat das zum Glück nicht, das kenne ich von der Kolloskopie anders. Ich brach also am Dienstag mit dem E-Roller zum Rentnern auf. Da es ja nur ein Test war, war auch mein Ziel nicht sehr weit weg, ich fuhr schlicht zur Fähranlegestelle Kleinzschachwitz-Pillnitz. Will man zünftig rentnern, muß man sich natürlich auch mit anderen Rentnern treffen. So setzte ich mich also im Birkenwäldchen neben einen Rentnerkollegen auf die Bank. Normalerweise sitzen ja Männer und vor allem Rentner in einer Kneipe, um über Maßnahmen zur Rettung des Weltfriedens zu diskutieren, aber dort ist ja keine Natur und außerdem habe ich den Weltfrieden schon einmal gerettet. Genau deshalb habe ich vorgesorgt und mir eine Büchse Weißbier eingepackt. Niemand der es nicht selbst ausprobiert hat kann ermessen, wie labend ein (kühles!) Weißbier für 34Cent pro halber Liter ist, wenn es am nächsten erreichbaren Tresen 4,80€ (z.B. Festung Königstein) kostet. Das weckt in einem Menschen ganz neue Gefühle von Überlegenheit. Das ist ungefähr so wie bei Ottfried Fischer im Film „Der Superstau“. Aussage: „Weil I halt vorsorg!“
Nachdem ich anschließend noch eine Kurve um die ´Wostra´ gezogen hatte und mit immer noch halbvoller Batterie zu Hause ankam, war der Erfolg perfekt.

Nach solchem Wohlgefühl wollte ich mir das am nächsten Tag natürlich ebenfalls gönnen. Außerdem wollte ich oberschlau sein, indem ich den Roller zum Wiederaufladen nicht aus dem Auto herausnehme, sondern gleich dort lade. Zu diesem Zweck hatte ich mir schon vor längerer Zeit ein Gerät gekauft, was aus 12V Gleichspannung 220V Wechsel produziert. Dort stecke ich dann mein 36V-Ladegerät an und der Roller flitzt wieder wie eine Rakete. Vorher habe ich noch kurz durchgerechnet, ob die Autobatterie das kapazitätsmäßig auch aushält. Ich wußte zwar nicht, welche aktuell drin ist, aber offiziell ist es eine 85er. Bei 3mal 14Ah des Rollers abzüglich der noch vorhandenen Ladung müßte also noch genügend Reserve übrig sein. Außerdem hatte ich noch eine 55er zum „Aufpulvern“ des Starts.
Am nächsten Tag dann habe ich gleich nachgeschaut: Der Roller war vollständig geladen – prima! Das Auto sprang nicht an – gar nicht prima! Die Ursache war auch schnell gefunden: Es war keine 85er drin, sondern nur eine 72er und meine Hilfsbatterie hatte ihre besten Zeiten auch schon hinter sich. Nach 2 vergeblichen Startversuchen blieb also nur noch die gute alte Starthilfe von Auto zu Auto. Solcherlei Dienstleistung kann man sich als hochherrschaftlicher Opel schon mal von einem Audi gefallen lassen(hoffentlich liest das mein Nachbar nicht, sonst wars das.)

Sei es wie es sei, auch das Auto rollte wieder, allerdings eben viel später als geplant. Diese Zeit ging mir zwar vom Rentnern ab, aber wenn sowieso Mistwetter herrscht, hat eine weiter entfernte Lokalität auch keinen Sinn…
Na, na?! Hat es einer gemerkt? Ich schrieb:  „…es hat keinen Sinn…“ und nicht das grammatikalisch falsche „…es macht keinen Sinn…“. Stammleser wissen ja, ich helfe jedem gern uneigennützig über seine Deutsch-Defizite hinweg.
Ich bin dann also nur mal mit dem Auto zum Heidenauer Beach gefahren und habe mir ein Weißbierchen schmecken lassen… Neeeiin, um Gottes Willen, doch nicht am Beachtresen. Natürlich habe ich mir das wieder mitgenommen! Jetzt könnte nun ein Schlaumeier kommen und sagen: „…mit dem Auto nach Heidenau und dann Bier trinken!? Das ist doch verboten!“. Nein, Freunde, im Gegenteil, es ist sogar erwünscht. Oder kann sich jemand vorstellen, warum sonst die Promillegrenze beim Autofahren nicht auf 0, sondern nur auf 0,5% gesetzt wird. Irgendjemand will, daß wir trinken, aber wer… ?
Na gut, ich bin ja nur ein bißchen blöd. Erstens habe ich Zeit und zweitens einen Alcomaten dabei. Als ich jedenfalls gestern dort beim Beach saß, kam plötzlich eine… sagt man dazu auch heute noch „Wanne“? Es war eben ein Sprinter in Polizei-„Uniform“. Die Fahrt ging aber nicht weit, sondern nur bis etwa 50m weg von mir. Dort war ein junges Paar mit einem Kleinkind, welches sich die aussteigende Politeuse als Spielfreundin auserkor und reichlich Kokolores veranstaltete, einschließlich optischem und akustischem Tatütataa. Das machte dem Kind sichtlich Spaß, anderen Leuten aber nicht, nämlich denen, die wegen des Fahrzeuges auf die Wiese ausweichen mußten. Als aber die Sirene ertönte, erschien plötzlich ein männliches Gesicht im hohen Gras am Elbufer, dem anzusehen war, daß dessen Besitzer wahrscheinlich eben in Normzeit die Hosen hochgezogen hatte. So schnell kann sich Polizei unbeliebt machen und weiß es noch nicht einmal.

Heute nun war der dritte Tag meiner Selbstunterweisung im Rentnern. Ich hatte das von langer Hand geplant, denn diesmal wollte ich nichts dem Zufall überlassen und eine der schönsten Landschaften besuchen, die unser Umland zu bieten hat: den forstbotanischen Garten in Tharandt. Wo sonst findet man perfekte Natur aller Erdteile auf engstem Raum vereint. Ich bin in letzter Zeit derart empfänglich für die Schönheit der Natur, daß ich von dieser Konzentration seltener Pflanzen regelrecht überwältigt war. In diesem Moment habe ich beschlossen, mich in Zukunft noch viel stärker dem Schutz der Pflanzenwelt zu widmen und auch meine Ernährung dahingehend umzustellen, sie doch noch etwas mehr in Richtung Fleischverzehr zu schieben. Ich höre im Geiste schon die Stimmen aus dem Off: „Oh Gott, Fleischverzehr! Tun dir denn die niedlichen Tiere in der Natur nicht leid? Schau dir doch mal so ein Eichhörnchen richtig an!“ Ja langsam, Freunde, ich kann euch beruhigen und ehrlichen Herzens berichten, daß mir Eichhörnchen noch nie geschmeckt haben und die deshalb außer Gefahr sind.
Auf jeden Fall war der forstbotanische Garten wieder mal ein echtes Naturerlebnis. Wenn man davon absieht, daß ich beim Schieben meines Rollers über eine schmale Brücke gestolpert bin und damit beinahe ein Bad genommen hätte, gab es auch keine Komplikationen.
Die nächsten 14 Tage allerdings könnten problematisch werden, denn meine Frau ist geringfügig jünger als ich und muß noch fast 10 Jahre arbeiten, hat aber jetzt 14 Tage Urlaub…  Entschuldigung! Das Wort „arbeiten“ ist ja ein Begriff aus der DDR. Heutzutage geht ja niemand mehr „zur Arbeit“, sondern maximal „ins Büro. Auch Arbeitsstellen sind jetzt knapp und zwar noch viel, viel knapper als Jobs. Früher hat man zum Beispiel auch verzweifelt versucht, seine Arbeit gut zu machen, damit man sich für höhere Aufgaben empfiehlt, das braucht man heute nicht mehr. Man nimmt ganz einfach einen Job an, um von Hause aus Karriere zu machen. Ist doch auch scheißegal, wenn man nur Ausschuß produziert hat. Hauptsache ist, der Chef merkt es nicht und notfalls schiebe ich den meinem Konkurrenten unter.
Mir kommt gerade die Idee, daß vielleicht zu DDR-Zeiten deshalb gut gearbeitet wurde, weil höhere Chargen die Chance hatten, in den Westen zu reisen und dort eventuell als ebenfalls Deutsche wegen des Alleinvertretungsanspruches mit geschmatzten Händen aufgenommen worden wären. Das gibt es alles nicht mehr. Heute kann jeder Depp aus jedem Land der Welt in den Westen kommen.

Aber das sind eben alles keine Eichhörnchen.